Mindestlohn für „Amateur“-Fußballspieler?

Fußballspieler sind Arbeitnehmer. Das gilt jedenfalls dann, wenn sie aufgrund eines Vertrages gegen Entgelt tätig werden. Sie erfüllen dann die Kriterien, die nach herrschender Rechtsprechung den Status als Arbeitnehmer begründen: Sie sind zum einen in die betriebliche Organisation ihres Arbeitgebers – regelmäßig des Vereins – eingegliedert. Zum anderen sind sie in ihrer Tätigkeit weisungsgebunden, da sie über Zeit, Ort, Inhalt und Gestaltung ihrer Tätigkeit nicht selbständig entscheiden können.

Seit Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes sehen sich viele Vereine und Amateur-Fußballspieler einer neuen Rechtslage gegenüber: Nach § 1 Abs. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG) hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgeltes in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns. Und dieser beträgt gemäß § 1 Abs. 2 MiLoG seit 1. Januar 2015 pro Stunde 8,50 EUR brutto. Geht man von drei bis vier Trainingseinheiten pro Woche und einem Spiel aus, so kommt ein „durchschnittlicher“ Vertragsspieler leicht auf 12 bis 16 Stunden wöchentliche Arbeitszeit, also auf circa 48 bis 64 Zeitstunden im Monat. Bei einem Mindestlohn von 8,50 EUR müsste er demnach zwischen 408,- EUR und 544,- EUR verdienen. Im Falle von Trainingslagern, Auswärtsspielen mit vorheriger oder nachfolgender Übernachtung und längerer An- und Abreise sowie bei zusätzlichen PR-Terminen dürfte sich dieser Betrag noch deutlich erhöhen.

Mindestlohn: 8.50 EUR brutto pro Stunde

Mindestlohn: 8.50 EUR brutto pro Stunde

Im professionellen Fußball zahlen die Vereine ihren Spielern regelmäßig weit mehr. Auch im Amateurbereich wird es in den oberen Ligen viele Spieler geben, die ein höheres Entgelt erzielen. Denn zum Grundgehalt sind als Arbeitsentgelt Punkte- und Einsatzprämien hinzuzuzählen. Die überwiegende Zahl der Amateurfußballer, die Fußball lediglich als Nebenjob betreiben, erhält jedoch ein geringeres Entgelt. So sind Vergütungen zwischen 200,- EUR (sogenannte Übungsleiterpauschale) und 450,- EUR (Mini-Job-Grenze) an der Tagesordnung. Legt man diese Werte zugrunde, so dürfte ein Spieler für 200,- EUR im Monat höchstens 23,5 Stunden tätig sein. Bei 450,- EUR müsste die monatliche Arbeitszeit unter 53 Stunden liegen. Die DFB-Spielordnung schreibt für Vertragsspieler eine Mindestvergütung  von 250,- EUR im Monat vor, wobei auch geldwerte Vorteile eingerechnet werden. Dies entspricht bei Zahlung des Mindestlohns einer monatlichen Tätigkeit für den Verein von etwas über 29 Stunden.

Das Mindestlohngesetz gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbneitnehmer

Das Mindestlohngesetz gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbneitnehmer

Die Mehrzahl der Vereine kann sich eine Beschäftigung der Spieler zu einem Mindestlohn von 8,50 EUR gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 MiLoG nicht leisten. Um nicht gegen das Gesetz zu verstoßen, müssten die Vereine konsequenterweise auf die Beschäftigung der Amateur-Fußballer verzichten. Denn wer gegen die Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns verstößt, begeht gemäß § 21 Abs. 1 MiLoG eine Ordnungswidrigkeit. Die Verweigerung des Mindestlohns ist mit Geldbußen bis zu 500.000,- EUR bewehrt. Kein Verein wird dieses Risiko eingehen wollen.

Nach Inkrafttreten des Mindestlohnes wurden zahlreiche Stimmen laut, die durch den Mindestlohn das derzeitige Modell des Amateurfußballs und sogar die wirtschaftliche Existenz der Vereine gefährdet sahen. Gleiches gilt für andere Sportarten, in denen – wenn auch oft nur in höheren Ligen – vergleichbare Löhne wie Amateurfußball gezahlt werden. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) erkannte die Gefahr durch den Mindestlohn und stellte sich etwa in Person seines Schatzmeisters Reinhard Grindel auf den Standpunkt, das Mindestlohngesetz gelte nicht für Spieler und Trainer im Amateurfußball. Am 23. Februar 2015 trafen sich Vertreter des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und des DFB mit der zuständigen Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Im Anschluss verkündeten das Bundesministerium, DOSB und DFB, sie hätten „im Rahmen der Auslegung unter Berücksichtigung der Schlussempfehlung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales sowie des § 22 Abs. 3 MiLoG festgestellt, dass Vertragsamateure typischerweise nicht in einem Arbeitsverhältnis tätig werden und damit auch nicht in den Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes fallen“. Entscheidend hierfür sei, dass „die sportliche Betätigung und nicht die finanzielle Gegenleistung im Vordergrund“ stehe. Bemüht wurde also die Regelung des § 22 Abs. 3 MiLoG, wonach das Mindestlohngesetz nicht die Vergütung von ehrenamtlich Tätigen regelt.

Wie hart trifft der Mindestlohn den Amateurfußball?

Wie hart trifft der Mindestlohn den Amateurfußball?

Der Gießener Arbeitsrechtler Professor Wolf-Dietrich Walker hält diesen Ansatz nicht für tragfähig. In einem Beitrag für die Fachzeitschrift „Sport und Recht“ (SpuRt 2015, 94 ff.) weist Walker darauf hin, dass die Regelung des § 22 Abs. 3 MiLoG „keine echte Bereichsausnahme für Ehrenamtliche“ regele, sondern „lediglich klarstellende Bedeutung“ habe: Wer ehrenamtlich tätig ist, handelt qua definitionem nicht entgeltlich und ist schon deshalb kein Arbeitnehmer. Nach § 22 Abs. 1 S. 1 MiLoG gilt das Mindestlohngesetz aber nur für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – mit Ausnahme von Praktikanten im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 4 MiLoG. Wenn § 22 Abs. 3 MiLoG regelt, dass das Mindestlohngesetz nicht für Ehrenamtliche gilt, so könnte es ebenso regeln, dass das Mindestlohngesetz nicht für Selbständige und Rentner oder andere Personen gilt, die ohnehin keine Arbeitnehmer sind.

  • 22 Abs. 3 MiLoG hilft also nicht wirklich weiter. Wenn Vertragsfußballspieler indes tatsächlich „ehrenamtlich“ tätig würden, so unterlägen sie – unabhängig von § 22 Abs. 3 MiLoG – nicht dem Mindestlohngesetz. Denn dann stünden sie mangels Entgeltlichkeit ihrer Tätigkeit nicht in einem „Dienstverhältnis“ zum Verein und wären keine Arbeitnehmer. Entscheidend kommt es mithin auf die Frage an, ob Vertragsfußballer ehrenamtlich tätig werden. Das Mindestlohngesetz liefert ebenso wenig wie andere Gesetze eine Legaldefinition des „Ehrenamtes“. Der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales sagt in seiner Beschlussempfehlung zum Mindestlohngesetz (BT-Drs. 18/2010 (neu) S. 15), von einer ehrenamtlichen Tätigkeit seit dann auszugehen „wenn sie nicht von der Erwartung einer adäquaten finanziellen Gegenleistung, sondern von dem Willen geprägt sei, sich für das Gemeinwohl einzusetzen“.

Ob nun die Gegenleistung für den oft intensiven Einsatz von Fußballern „adäquat“ ist, mag man diskutieren. Indes kann allein die „Inadäquanz“ nicht dazu führen, dass eine Tätigkeit als „ehrenamtlich“ aus dem Mindestlohngesetz herausfällt. Denn das Mindestlohngesetz will ja gerade unangemessen niedrige und damit „inadäquate“ Löhne vermeiden. Und dass der Antrieb der Fußballer nicht – zumindest auch – in der finanziellen Gegenleistung des Vereins, sondern einzig in einem Engagement für das Gemeinwohl liege, wird man wohl nicht ernsthaft behaupten können. Dabei muss man nicht in Frage stellen, dass die gemeinsame Sportausübung durchaus soziale und gesellschaftliche Funktionen erfüllt. Dies trifft indes auf viele Berufe zu. Allein dass eine Tätigkeit erwünschte (Neben-) Effekte hat, macht die dort Tätigen nicht zu „Ehrenamtlichen“. Auch der Umstand, dass die meisten Sportler aus Freude am Sport tätig werden, macht sie nicht zu selbstlos tätigen Ehrenamtlichen. Andernfalls müssten auch andere Beschäftigte, die an ihrem Beruf Freude haben, als „Ehrenamtliche“ aus der Anwendung des Mindestlohngesetzes herausfallen.

Eine Gesetzesänderung könnte den Knoten lösen.

Eine Gesetzesänderung könnte den Knoten lösen.

Auch andere Kriterien für die Abgrenzung von Arbeitnehmern und Ehrenamtlichen sind nach Einschätzung von Professor Walker im Falle der Vertragsspieler nicht erfüllt: Regelungen wie die Haftungsprivilegierung für Vereinsorgane bis zu einer Aufwandsentschädigung von 720,- EUR jährlich gemäß § 31a Abs. 1 BGB seien auf die Abgrenzung der Eigenschaft zwischen Arbeitnehmern und Ehrenamtlichen nicht ohne weiteres übertragbar. Gleiches gelte für die steuerrechtliche Regelung des § 3 Nr. 26 Einkommenssteuergesetz (EStG), wonach Übungsleiterpauschalen bis zu 2.400,- EUR jährlich nicht einkommenssteuerpflichtig sind. Zudem würden diese Wertgrenzen auch das Gros der Vertragsspieler nicht erfassen, die – jedenfalls mit Prämien – mehr als 200,- EUR monatlich verdienen. Bei allen Definitionen des Ehrenamtes ist ein unstreitiges Charaktermerkmal, dass dabei der Einsatz für das Gemeinwohl im Vordergrund steht. Ein überzeugendes Argument, dass Amateurfußballer im Training und Wettbewerb in erster Linie den Nutzen des Gemeinwohls verfolgen, wurde bislang auch vom Arbeitsministerium nicht geliefert. Die bloße Klarstellung des § 22 Abs. 3 MiLoG, aber auch inhaltliche Abgrenzungen zwischen Arbeitsverhältnis und Ehrenamt sind als Rettungsanker für den Amateurfußball also nicht geeignet.

Stattdessen bedarf es einer sportspezifischen Regelung, die den Besonderheiten der im Sport tätigen Arbeitnehmer Rechnung trägt. Im Editorial der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW Heft 13/2015) kritisiert der Bonner Arbeitsrechtler Professor Gregor Thüsing die Aussage und das Selbstverständnis des Ministeriums: Eine unzureichende gesetzliche Regelung solle, so Thüsing, durch ein „Ministerwort“ korrigiert werden, ohne dass der Gesetzestext hierfür eine Grundlage liefere. Für die Auslegung eines Gesetzes, so Thüsing weiter, seien nach wie vor die Gerichte zuständig. Eine „Klarstellung“ durch die zuständige Ministerin entfalte für die Gerichte keine Bindungswirkung. Der renommierte Bonner Arbeitsrechtler bringt diese Einschätzung auf den Punkt: „Worte der Ministerin sind eben keine Rechtsquelle“.

Der Ball liegt beim Gesetzgeber

Der Ball liegt beim Gesetzgeber

Faktisch hat die Einschätzung der Ministerin durchaus Bedeutung. So hat das Bundesministerium für Arbeit mit dem für die Finanzkontrolle Schwarzarbeit zuständigen Bundesministerium der Finanzen geklärt, dass Vereinen und ihren Vorständen aus dem Mindestlohngesetz keine Bußgelder drohen. De facto ist also bis auf weiteres nicht mit Kontrollen des Mindestlohngesetzes in Sportvereinen zu rechnen. Die faktische Nichtanwendung des Gesetzes begegnet gemäß Professor Walker aber verfassungsrechtlichen Bedenken: Nach dem Rechtsstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz ist die Verwaltung an Gesetz und Recht gebunden. Spätestens bei der ersten Klage eines Amateurfußballers auf Zahlung des Mindestlohns wird ein Arbeitsgericht über die Frage der Anwendbarkeit des Mindestlohngesetzes ungeachtet der Vollzugspraxis zu entscheiden haben.

Die Vereine müssen mit dem Mindestlohn rechnen.

Die Vereine müssen mit dem Mindestlohn rechnen.

Eine dauerhaft sinnvolle Lösung liegt demnach nicht in einem unterlassenen Vollzug des Gesetzes durch die Verwaltung; vielmehr sollte der demokratisch legitimierte Gesetzgeber eine sportspezifische Bereichsausnahme regeln und damit das Gesetz den allseits erkannten Erfordernissen anpassen.

Im Mindestlohngesetz zeigt sich einmal mehr, dass der Gesetzgeber die Spezifika des Sports nicht immer hinreichend im Blick hat. Das Problem ist aus anderen Bereichen namentlich des Arbeitsrechts bekannt, wenn es etwa um Verstöße gegen die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes oder des Bundesurlaubsgesetzes im Sport geht. Der Gesetzgeber und der organisierte Sport sollten sich dieser Aufgabe stellen und aktiv an einem Berufsrecht des Sports arbeiten. Eine rasche sportspezifische Ergänzung des Mindestlohngesetzes wäre ein guter Anfang.

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